„Hier haben wir nicht nur unsere Kleidung verloren, sondern unsere Seele“ steht an der weißen Wand geschrieben. Diese Worte wirken nicht nur deshalb, weil sie an der sonst makellos gestrichenen Wand prägnant hervorstechen, sondern gerade um ihren Inhalt willen.
Das Zitat stammt von Vittore Bocchetta, einem ehemaligen Häftling des Konzentrationslagers Flossenbürg.
In diesem Lager in der Oberpfalz waren von 1938 bis zu seiner Befreiung im April 1945 durch die Amerikaner über 100.000 Häftlinge interniert. Der Großteil davon stammte aus von den Nationalsozialisten im Zuge des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten.
Und auch wenn es sich bei dem Konzentrationslager um kein reines Vernichtungslager handelte, starben in Flossenbürg von Anfang an Menschen – insgesamt über 30.000 Häftlinge.
Dies wird den Schülerinnen und Schülern der 9. Jahrgangsstufe u.a. bewusst, als sie beim Besuch der KZ-Gedenkstätte im Untergeschoss der Wäscherei des Häftlingsbereichs mit Bocchettas Zitat konfrontiert werden. In diesen Räumen mussten sich Neuankömmlinge nackt ausziehen. Sie gaben damit nicht nur ihre Kleidung ab, sondern verloren auch ihre Haare und ihren Namen. Fortan sind sie nur noch Nummern. Nackt sind sie hilflos der SS und den Kapos ausgesetzt, die die Häftlinge beschimpfen, schlagen und foltern. Das Wasser zum „Duschen“ kommt aus einem Hochdruckschlauch abwechselnd eiskalt oder brühend heiß aus den Duschköpfen. Manche Häftlinge müssen anschließend nackt stundenlang draußen auf dem Appellplatz warten. Wer diese Tortur überlebt, bekommt die üblich gestreifte Häftlingskleidung und wird einem Block zugeteilt.
Ab diesem Zeitpunkt sind sie Eigentum der SS, die ihre Arbeitskraft in dem ansässigen Steinbruch schonungslos ausbeutet. Der abgebaute Granit wird für Hitlers Großbauprojekte, wie den gigantischen Bauten auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände, benötigt. Andere Häftlinge arbeiten in Betrieben außerhalb des Konzentrationslagers, denn zum Lager gehören fast 100 Außenlager. Eines davon befand sich in Moschendorf in Hof, ein anderes in Helmbrechts.
Die Dimensionen des Terrors sind für uns nur schwer zu fassen. Anschaulich wird es für die Jugendlichen der 9. Klassen v.a. durch die Beschäftigung mit den Häftlingsbiographien, wie z.B. dem erwähnten Italiener Vittore Bocchetta, der als 26- Jähriger Widerstandskämpfer im September 1944 nach Flossenbürg kam und sich im KZ-Außenlager Hersbruck am Bau eines Tunnelsystems beteiligen musste.
Über das Prozedere nach der Ankunft im Lager sagte er Folgendes:
„Auf einem Pfeiler am Eingangstor stand `Arbeit macht frei`. Als wir das Tor passiert hatten, wurden wir sofort in der Nähe einer Betontreppe zusammengetrieben. Sie führte in ein ziemlich düsteres Gebäude. Wir mussten uns ganz nackt ausziehen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren wir Personen, menschliche Wesen mit bestimmten Rollen im Leben. Da war der Lehrer, der Priester, der Mönch, der Arbeiter, der einfache Mensch und der Intellektuelle. Es gab ein ganzes Spektrum an verschiedenen Menschen. Wir waren jeder eine Persönlichkeit und um uns herum waren andere Persönlichkeiten. Doch dieses – uns die Kleidung wegnehmen und uns überall untersuchen – machte uns alle gleich. Das war bereits der erste Schritt. Wir sind nackt und wir unterscheiden uns nicht mehr voneinander. Wir beginnen bereits, unsere Einzigartigkeit zu verlieren. Der zweite Schlag wird sein, dass sie uns auch diese nehmen, indem sie uns Nummern geben.
[Nun treibt man] uns in einen Duschraum, in diesen berüchtigten Duschraum, macht das Wasser an und dann kommen diese rasenden Verrückten, die Kapos, und sie prügeln mit Gummischläuchen auf uns ein. Sie prügeln und prügeln, sie schlagen wirklich ohne jeden Unterschied auf diese nackten Körper unter der Dusche ein. Das heißt, zuerst Angst einflößen. Dieses „Du bist nichts! Ich kann dich schlagen, ich kann dich zerstören!“ Aber noch erinnern wir uns daran, wer wir vor zehn Minuten waren.
Die Duschen werden abgestellt, wir kommen in einen anderen Raum. Sie geben uns andere Kleider, diese gestreifte Häftlingskleidung. Und sie geben uns eine Nummer. Sie rauben uns also unsere Namen. Hier müssen wir unsere Nummer auswendig kennen. Einen Namen haben wir nicht mehr.“ (Aus: Konzentrationslager Flossenbürg 1938-1945. Katalog zur ständigen Ausstellung)
Diese und andere Erinnerungen gewähren den Schülerinnen und Schülern einen wichtigen Einblick in den Lageralltag und verdeutlichen die Entwürdigungen und Entmenschlichungen, ebenso welche Schikanen die Gefangen durchleben mussten und welcher Todesgefahr sie dabei ausgesetzt waren. Die gewonnenen Eindrücke lassen uns nachdenklich und ergriffen zurück.
(Lisa Bär)