Berlinfahrt der 11. Klassen

51 Schülerinnen und Schüler der Klassen 11 a/b, begleitet von vier Lehrkräften, machten sich im Doppeldecker am 17. März auf den Weg nach Berlin. Diese historisch-politische Exkursion ist Teil des Fahrtenprogramms am Reinhart.

Der Bus brachte uns direkt zur Gedenkstätte Hohenschönhausen, besser bekannt als ehemaliges Stasi-Gefängnis. In dieser Untersuchungshaftanstalt war Gilbert Furian, der die Führung einer Schülergruppe übernahm, als junger Erwachsener mehrere Monate inhaftiert. Der Vorwurf, den der SED-Staat gegen ihn erhob: Furian führte im Jahr 1982 Interviews mit sieben Ostberliner Punks, über Punk und Politik, Musik und Liebe, Arbeit und Anarchie. Grund für das DDR-Regime, ihn nach wochenlanger Bespitzelung durch Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi in seiner Arbeitsstätte verhaften zu lassen. Es folgten viele Verhöre und eine Verurteilung zu 2 Jahren und 2 Monaten Haft. Beim Rundgang durch das Gebäude schilderte der Zeitzeuge den Schülern seine Erfahrungen – und ließ auch teilhaben, wie für ihn Versöhnung mit seiner Vergangenheit und dem Offizier, der ihn mehrmals verhört hatte, möglich geworden ist.

Abends, nach dem Check-In im Hotel, machte sich ein Teil der Gruppe noch auf den Weg in die Innenstadt. Berliner Nachtlebenluft schnuppern. Street-Art im Hinterhof des Hauses Schwarzenberg erkunden, subkulturelle Szene am Ufer der Spree am RAW-Gelände auf sich wirken lassen – mit Skatehalle, Boulderkomplex und einer fotogenen Ratte – , ein Besuch in der Tele-Disco (Ja, man passt zu sechst in eine Telefonzelle und kann dabei sogar noch zu „Barbie Girl“ tanzen!), gleichzeitig die Kontraste zu aufwändig sanierten Gebäuden und protzigen Geschäften wahrnehmen. Am Rückweg schlenderten wir entlang der East-Side-Gallery und über die Oberbaumbrücke nach Kreuzberg.

Nach einer kurzen Nacht, aber gestärkt am reichhaltigen Frühstücksbuffet starteten wir am zweiten Tag schon um 7.30 Uhr Richtung Prenzlauer Berg, zum Museum in der Kulturbrauerei. In drei Gruppen wurden wir durch die Ausstellung mit dem Schwerpunkt „Alltag von Jugendlichen in der DDR“ geführt. Eindrücklich wurde hier das Spannungsfeld vermittelt, in dem man sich in der DDR zurechtfinden musste. Der Wunsch nach Freiheit und einem selbstbestimmten Leben, dazu aber Kontrolle, Überwachung, Indoktrination und Einengung durch das DDR-System. Dass Not beziehungsweise Mangel aber erfinderisch macht, davon zeugten viele der Exponate: ein Trabbi mit selbstkonstruiertem Dachzelt, die Jeansweste mit selbstgemalten Patches von Heavy-Metal-Bands oder Nietenarmbänder gefertigt aus Leder vom Dorfschuster und Nieten aus dem Betrieb des Vaters einer Jugendlichen.

Nach einer ausgiebigen Mittagspause trafen sich alle am Ort des ehemaligen Führerbunkers, wo Rundgänge durch das Regierungsviertel starteten. Auf dem Programm standen das Holocaustmahnmal, das Denkmal für die von den Nationalsozialisten verfolgten Homosexuellen, das Brandenburger Tor, das Kanzleramt, wo man durch die große Glasfassade ins Büro des Bundeskanzlers blicken konnte: die letzte Arbeitswoche des noch-amtierenden Bundeskanzlers Olaf Scholz. Beim Paul-Löbe-Haus, wo sich die Räume für die Ausschüsse des Deutschen Bundestags als auch Abgeordnetenbüros befinden, konnte man durch die Fenster in manchen Büros bereits gepackte Umzugskartons finden. Wechsel zwischen dem 20. und 21. Deutschen Bundestag! Ursprünglich hieß es für Mitte März eigentlich: sitzungsfreie Zeit – nun aber: Sondersitzung des noch amtierenden Bundestags am 18. März. Beratung und Abstimmung über die Grundgesetzänderung zur Schuldenbremse. Also noch einmal alle Abgeordneten nach Berlin. Diese historische Sitzung mit Abstimmung für die Grundgesetzänderung war aber leider bereits vorbei, als wir unseren Termin hatten. Allerdings hatten manche von uns noch das Glück, die Fraktionsspitze der Grünen und SPD-Chef Lars Klingbeil vor dem Gebäude anzutreffen.

Die Einlasskontrolle ins Gebäude verlief problemlos. Erster Programmpunkt: Vortrag auf der Besuchertribüne des Plenarsaals, je nach Aufmerksamkeitsgrad als launig-interessant oder langweilig beurteilt. Dass der Adler aber so groß ist wie eine gut geschnittene Dreizimmerwohnung, blieb bei jedem hängen. Danach trafen wir den SPD-Abgeordneten Jörg Nürnberger, der für den Wahlkreis Hof von 2021 bis 2025 im Bundestag saß, aber den Einzug über die Landesliste Bayern kein zweites Mal geschafft hat. Er nahm sich für uns, seine letzte Besuchergruppe in Berlin, viel Zeit, ging auf Schülerfragen ein und begleitete uns sogar noch hoch in die Kuppel, wo Berlin bei Nacht bestaunt werden konnte. Der Abend klang gemütlich aus, in der Hotel-Lobby wurde noch Geburtstag mit Sahnetorten gefeiert, die Nachtruhe wieder spät eingeläutet.

Berlin
Vor dem “Bruderkuss” an der East-Side-Gallery

Am Mittwoch, unserem Abreisetag, musste das Programm umgeplant werden: Streik der Berliner Verkehrsbetriebe. Zum Glück war unser Busfahrerteam bereit, uns mit dem Doppeldecker in die Innenstadt zu fahren. So konnten wir den Termin im neu eröffneten Museum „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ noch wahrnehmen. Auch hier wurden wir in drei verschiedenen Gruppen durch die Ausstellung geführt. Den Abschluss der Exkursion bildete ein Abstecher zum ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie, wo 1961 beinahe der 3. Weltkrieg ausgebrochen war. Ohne Stau kehrten wir abends wieder ans Reinhart zurück, müde, voller neuer Erfahrungen, aber auch nachdenklich hinsichtlich unserer deutschen Vergangenheit und unserer Verantwortung für die Zukunft.

Berlin

(Veronika Grimm)