Es ist mucksmäuschenstill an diesem Vormittag in der Aula des Johann-Christian-Reinhart-Gymnasiums, als Niklas Frank den Schülerinnen und Schülern der 11. Jahrgangsstufe aus seinen autobiographischen Büchern vorliest. Denn das, was er zu sagen hat, geht so richtig unter die Haut.
Niklas Frank, Jahrgang 1939, Sohn von Hans und Brigitte Frank, selbst Ehemann, Vater und Großvater, hat eine bewegende Vergangenheit, ein Schicksal, an dem andere zerbrechen, eine Familie, mit der man wohl nur schwer fertig wird und an der sich Frank nun schon sein ganzes Leben abarbeitet.
Allem voran sein Vater, Hans Frank, Nazigröße, bekannt als der „Schlächter von Polen“, seit 1939 Generalgouverneur der besetzten – nicht in das Deutsche Reich eingegliederten – polnischen Gebiete. Im sogenannten Generalgouvernement ist er verantwortlich für die Ermordung von hunderttausenden Polen. Weiterhin organisiert er die Beschlagnahmung polnischen Eigentums und die Deportation von etwa einer Million polnischer Arbeiterinnen und Arbeiter in deutsche Fabriken und organisiert die Verschleppung der polnischen Juden in Ghettos – eine Vorstufe des NS-Völkermords.
Doch in der Familie Frank wird der Vater gleichsam vergöttert. Selbst nach seiner Verhaftung am 4. Mai 1945 durch amerikanische Truppen und der darauffolgenden Anklage vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hält die ganze Familie zu ihm. Nur der damals erst 7-jährige Niklas erkennt in seiner kindlichen Art bereits zu diesem in seinen Leben sehr frühen Zeitpunkt die Verlogenheit seines Vaters, der selbst angesichts erdrückender Beweislast im Nürnberger Prozess nur halbherzige Schuldeingeständnisse macht. Und während seine Geschwister den „Vati“ bis zuletzt verteidigen und zeitlebens um den am 1. Oktober 1946 zum Tode durch Erhängen Verurteilten trauern, geht der Jüngste der Franks ganz anders mit der eigenen Familiengeschichte um.
So rechnet der Journalist durchaus schonungslos und sehr ehrlich mit seiner Familie in verschiedenen Büchern ab – das ist seine persönliche Vergangenheitsbewältigung. Aus zwei dieser Werke liest er am 16. Oktober, auf den Tag genau 77 Jahre nach der Hinrichtung Hans Franks, vor. Und es sind durchaus einprägsame, drastische, geradezu bissige, ja gewaltige Worte, die der 84-Jährige wählt. Aber nicht nur deshalb ist das Publikum wie gefesselt von Franks Vortrag. Auch – und gerade – das, was er zu sagen hat, seine eigenen Erinnerungen an die Zeit in Polen gestützt durch die spätere intensive Recherche sowohl der Aktenlage als auch durch Gespräche mit Familienmitgliedern machen sprachlos. Etwa wenn Frank von seinen Erlebnissen in einem Außenlager des KZs berichtet, von den abgehungerten Gestalten, den Baracken, die er sieht. Oder von der skrupellosen Mutter, der „Frau Reichsminister“, die gerne Geschäfte mit jüdischen Händlern machte, dann aber lapidar die flehentliche Bitte ihres langjährigen jüdischen Pelzhändlers nach einem Visum bei einem zufälligen Treffen mit dem Verweis: „Ich wette, 70 zu 30 %, dass sie eines bekommen“ abtut. Niklas Frank kommentiert sarkastisch: „Die Wette hätte sie verloren.“
Später schreibt Brigitte Frank ihrem Ehemann in einem anderen Zusammenhang ins Gefängnis: „Obwohl er Jude ist, hat er dennoch ein menschliches Herz.“
„Das ist meine Familie“, beendet der 84-Jährige seinen Vortrag, „und jetzt seid ihr dran!“
Und so ergibt sich im zweiten Teil nach Franks eindringlichen Worten eine richtig gute Gesprächsrunde mit den Jugendlichen, die dem Journalisten interessiert ihre Fragen stellen dürfen.
Innerhalb dieser Diskussion wird auch deutlich, warum es Niklas Frank ein großes Anliegen ist, seine aufwühlende und emotional beeindruckende Familiengeschichte mit jungen Menschen zu teilen. Denn gerade aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse ist es für Niklas Frank essentiell wichtig, darauf hinzuweisen und aufzurütteln, dass die Demokratie brüchig ist, jederzeit abgeschafft werden kann und wir als politisch mündige Menschen alles dafür tun müssen, dies zu verhindern. Denn noch leben wir in einem freien, demokratischen Staat, dessen Vorzüge nicht hoch genug einzuschätzen sind.
Und so lässt uns Niklas Frank, der nun schon zum zweiten Mal unser Reinhart-Gymnasium besucht hat und uns in diesem Jahr nicht nur vormittags vor den Schülerinnen und Schülern der 11. Jahrgangsstufe, sondern ebenso in einer Abendveranstaltung ganz persönliche Eindrücke in seine Familiengeschichte gewährte, nachdenklich und emotional ergriffen zurück. Seine Worte werden mit Sicherheit noch lange nachhallen und uns weiter beschäftigen.
(Lisa Bär)