Vortrag der Holocaust-Überlebenden Ruth Melcer

Ruth MelcerAnlässlich des Jahrestages des Pogroms gegen Juden am 9. November 1938 spricht die Holocaust-Überlebende Ruth Melcer vor 9., 11. und 12. Klässlern über ihr Leben.

„Für mich ist es ein Albtraum, über meine Vergangenheit zu sprechen. Das wird mich nachts wieder einholen. Aber es darf nicht vergessen werden“, antwortet die 89-jährige Ruth Melcer auf die Frage, warum Sie es in ihrem hohen Alter auf sich nimmt, mit jungen Menschen über ihre schlimmen Erfahrungen, die sie als Kind in diversen Ghettos, Arbeitslagern sowie im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau machen musste, zu reden.

Lange war sie dazu nicht in der Lage, auch weil sie dachte, sie hätte nichts zu erzählen. Es gäbe Menschen, die Schlimmeres während der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten erlebt hätten. Sie war ja noch ein Kind. Und so beginnt Ruth Melcer erst sehr spät über das, was ihr in ihrer Kindheit widerfahren ist, öffentlich zu berichten. Auch weil sie ihre Erlebnisse ganz lange verdrängte. Dass Frau Melcer aber auf jeden Fall etwas zu erzählen hat, wird bei einem Blick in ihre Biographie sehr schnell klar.

Ryta (später: Ruth) Melcer, geb. Cukierman, wurde 1935 im polnischen Tomaszów Mazowiecki, einer Kleinstadt nahe Lodz geboren. Sie war vier Jahre alt, als die deutsche Wehrmacht in Polen einmarschierte, und neun Jahre alt, als sie die Befreiung im KZ Auschwitz erlebte. Ab 1942 wurde Ruth Melcers Familie in Ghettos und schließlich in einem Arbeitslager zur Arbeit gezwungen. Ihr jüngerer Bruder wurde zusammen mit anderen Kleinkindern ermordet. Ruth überlebte nur, weil ihre Mutter sie als 12-Jährige ausgab. Damit war sie für die Nazis aufgrund ihrer Arbeitskraft etwas wert.

1944 wurde die Familie nach Auschwitz deportiert. Ruth kam mit ihrer Mutter nach Birkenau. Sie überlebte, weil eine Blockälteste sie in ihrem Verschlag vor Josef Mengele versteckt hatte. Die Befreiung durch die Rote Armee erlebte Ruth „wie eine Fata Morgana“; wie durch ein Wunder fand sie später sogar Mutter und Vater wieder.

Später, so erzählt sie, hatte sie ein erfülltes Leben, einen netten Mann kennengelernt, Kinder bekommen, mittlerweile Enkelkinder. Ihre Kindheit aber beschreibt sie als „Kindheit ohne Kindheit“. Besonders der schwere Verlust ihres Bruders ist für Ruth Melcer verständlicherweise bis heute nicht zu überwinden. So wird es auch besonders emotional, als sie von ihm erzählt. Während des ganzen Gesprächs brennt eine Kerze für ihn. Im Gedächtnis wird ihr wohl auch immer der „rote Himmel“ über Auschwitz sowie der Geruch nach Verbrannten bleiben.

Und obwohl diese Erinnerungen sehr traumatisch sind, berichtet Frau Melcer bereitwillig über ihr Schicksal und beantwortet verschiedene Fragen aus dem Kreis der Schüler aus ganz Bayern. Denn Ruth Melcer ist per Zoom digital zugestaltet und so ist es auch unseren 9., 11. sowie Klässlern möglich, an dem Zeitzeugeninterview, das von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert wird, teilzunehmen.

Gerade weil es immer weniger Holocaust-Überlebende gibt, sieht es die 89-Jährige mittlerweile als wichtige Aufgabe an, der Nachwelt von dem menschenverachtenden NS-Regime zu berichten, und so lautet auch Ruth Melcers Appell am Ende, sich gerade heute nötiger denn je für die Demokratie und gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzungen jeglicher Art einzusetzen.

(Lisa Bär)